Eine Abkehr vom tiefschwarzen, knochigen Drei-Mann-Grunge: Drei Jahre nach ihrer Sieben-Song Grunge-EP The World is Changing and So Must We, schalten Destroyed but not Defeated auf Deluxe Redux (Wohnzimmer Records) über die weitesten Strecken wieder einen Härtegrad zurück.
Zurück zum früheren College-Rock Sound der ersten beiden Studioalben, den die drei Musiker Lelo Brossmann (git/bass) Markus Reiter (git/bass) und Clemens Franke (drums) diesmal vielschichtiger und instrumentalfarbiger erweitern.
Wie im Closer Seeking Heart Violence der letzten EP mit Gastvokalistin und Inklusion der Steakhouse Horn Section erstmals angedacht, gibt es nun in fast jedem Song des großen Albumformats prominente Gastmusiker aus der österreichischen Musikszene, wie Wolfgang Schlögl von den Sofa Surfers, Eloui oder RIAN.
Spur um Spur werden neue Instrumente wie u.a. Tamburin, Orgel, Keyboard, Maultrommel, Theremin, Violine, Viola und Cello und generell viele zusätzliche Gitarrenspuren aufgetragen.
Deluxe Redux ist es ein großer Schritt für die Band: Vom College-Rock zum vielschichtigeren, instrumentalfarbigeren „Collagen-Rock“ – dem neuen Sub-Genre des College Rock, für das DBND auf Deluxe Redux eine zweiundvierzig-minütige Pionierarbeit leisten. Es ist mit ihrem bereits dritten Studioalbum die logisch gewordene Erweiterung und Auffrischung ihres knochigen 3-Mann 90er Sounds, der schon den gesamten US-Independent-Ground abgesteckt hatte.
Neue Instrumente
Die Neuerungen, gleich im Opener Never Afraid: Ganz ungewohnt Akustikgitarre, eine Surfgitarre, ein Akkordeon. Dass nicht alles beim Surfen auf der neuen Soundwelle über Bord geworfen wurde, und es noch DBND sind, merkt man, wenn um die 2-Minuten Marke ein dickklingendes Gitarrensolo im Stile Pavements den Song kreuzt. Magischer, himmelöffnender Moment.
In The Marks Meet Nick in Jackson ein erhebendes Cello zu einem 90er Gitarrenriff. In The Wrong Turn, dessen Strophen an den Lemonheads Song Losing Your Mind angelehnt sind, ein balladisierendes Piano. So klingen DBND etwas moderner und sind nicht mehr rein einem Jahrzeht oder einer Epoche zuzuordnen.
Psychedelisches, Post-Punk und Noise
Das Experimentieren führt DBND auch oft in neue Genres: Der Song Led Zeppelin entgleitet zwischen den Strophen gar in Syd Barret’sche vokale Hirngespinste wie in Pow R. Toc. H. auf „Piper at the Gates of Dawn“. Psychedelisch passend untermalt: Als hätte Pink Floyds Richard Wright mit an einer höheren Macht erstarkten Händen Klavier und Farfisa Orgel aus dem Studio in der Abbey Road geschoben, um in einem Moment spiritueller Erleuchtung mit fahrigen Handbewegungen das Theremin zum Schwingen zu bringen! Wolfgang Schlögl ist hier der Meister dieses 100 Jahre alten, berührungslos gespielten und daher magisch anmutenden Instruments.
In Dawn of Glitter reist der Post-Punk zur Hälfte des Songs 20 Jahre in die Zukunft um mit Franz Ferdinands gesanglichen „Oohs“ und FFs typisch metrisch strenger Keyboard-, Bass- und Schlagzeugarbeit sein eigenes Revival zu feiern.
Es gibt mehr, längere und freiere Noise-Ausbrüche als auf bisherigen Alben der Band – vor allem im Mittelteil des Albums – im dämmrigen Dawn of Glitter, im anmutigen The Wrong Turn (mit Afghan Whigs Einfluss) und im grübelnden Gotta Grow. Auch der elfte Song Cats are Company kollabiert in früher Dinosaur Jr. Noise Manier. Wer genau hinhört, hört sie im Lärm: die titelspendenden, jaulenden Noise-Katzen.
Aus dem Flanellhemdsärmel geschüttelte Songs
Trotz der Neuerungen ist sie natürlich noch da, die brennende Leidenschaft für die US-College Rock und Independent Bands der 80er und 90er, die stolz wie eh und je als Buttons am Flanellhemd prangen: Dinosaur Jr, die Smashing Pumpkins, die Lemonheads, die Afghan Whigs, aber auch R.E.M. und die britischen Smiths die auf dem Album einfließen.
Brossmann und Reiter, beide abwechselnd Gitarristen und Bassisten teilen sich wie eh und je nach dem Hüsker Dü-Motto „Whoever sings the song wrote it“ 50/50 Song für Song den Leadgesang und das Album auf. Der Mann für die hellen, großen und ans Herz greifenden Melodien und Songs ist Brossmann. Reiter ist der Mann für den Noise, die 90er-Räudigkeit, die sinister gehauchte Coolness. Die Symbiose von Brossmanns und Reiters Stärken ergibt das abwechslungsreiche Deluxe Redux.
Deluxe Redux funktioniert gerade deshalb als ganzes Album so gut, weil die beiden Gegenpole, die melodischen Teile und die noisigeren Teile um so komplementärkontrastiger und eindrucksvoller auf den Hörer wirken, wenn sie – oft auch im selben Song – gegenüber gestellt werden.
Jahrzehntelosigkeit
Hatte das Debüt schon zeitlose Anklänge, war aber noch im Independent Rock verwurzelt – so schreibt Brossmann nun auch erstmals Songs wie Never Afraid und The Night, die den 90ern in Richtung Jahrzehntelosigkeit entfliehen. DBND können diese Richtung im vollen Bandsetting mit einer Seinsleichtigkeit weiterführen, im Wissen an einem Punkt zu sein, nicht mehr in jedem Song dem Rockschema entsprechen zu müssen oder zu wollen. Die Weltmelodie von Never Afraid, die sich auch mit mehrmaligem Hören nie abnutzt überdauert ohnehin die Dekaden. Und die ähnlich brillante Melodie in The Night rührt zu kitschfreien Tränen, wie man sie seit der ähnlich umspielenden Melodie von Sweet Adeline von Elliott Smith nicht mehr vergossen hat.
Übersprudelnd, üppig und überraschungsreich ist Deluxe Redux. Und dabei in gleichem Maße flanellhemdfein und 90er-authentisch. Neue Wege werden eingeschlagen, ohne dass die Band dabei ihre Identität aufgibt. Als Folge der Gastmusiker, denen man viel kreative Freiheit einräumte, wohnen den Songs, die auch in den Strukturen freier sind, eine Unvorhersehbarkeit, ein Wendungs- und Auszuckungspotential inne. Die kreativen Grenzen und Ufer werden ins Grenzen- und Uferlose verschoben. Es ist bereits jetzt ein Meilenstein des Collagen-Rock.
Destroyed but not Defeated haben für Deluxe Redux wieder Songs geschrieben, Songs, die einen größeren Ruhm verdient hätten. Doch für einen glattgebügelten Mainstream-Sound würden Destroyed but not Defeated ihr letztes Flanellhemd – das sie 2019 offener, vielschichtiger und bunter bestickt tragen – wohl nie hergeben.
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Gitarrenmusik und Konzertskizzen