Das Duo Jolphin sind Oliver Spitzer an der Gitarre, der – anders als im Drei-Mann live setting – in den EP Credits auch für den Bass verantwortlich zeichnet, und Philipp Hackl am Schlagzeug. Jolphin eröffnen die EP mit dem Hit My Dear in dem bombastische Refrains aus den Verstärkern schallen. Der Song bringt alles zusammen was eine Hit-Single braucht. Ein Mando Diao ähnlicher Song im Post-Fernseh-Zeitalter.
Der zweite Song Talking Flies geht bereits in den Strophen aufs Ganze: Ein Garagen-Rock Song mit einem punkigen Gitarrentrick, der auch Hives-ähnlich ist. Instrumentale Fliegengeräusche sind zu hören und auch lärmendes Feedback und ein Gitarrensolo das im Punk verwurzelt ist.
Der dritte Song Sugar Shock Treatment ist ein hypnotisierendes und bannendes Songwriting-Juwel. Ein Song, der Melodiösität und schlagkräftige Indie-Gitarrenbreitseiten verbindet. Ein Song, der in seinen Akkordpfaden immer wieder eingängig harmonisch nach Hause führt – direkt in die Ohren und Herzen der Indie-Hörer. Dadurch, dass das bei der Aufnahme nicht jeder Akkord streng am Clicktrack hängt, wohnt dem Song eine Dringlichkeit und Ruhe zugleich inne: ein sorgloses Freiheitsgefühl, keinerlei Konventionen entsprechen zu müssen – und das spürt der Hörer. Der emotionale Gesang erinnert zudem an US- 90er Independent. Jolphin haben nicht nur britische, sondern auch amerikanische Einflüsse, und wer aufmerksam zuhört, hört die Velvet Underground I’m Waiting for the Man-Schlagzeugarbeit in dem Song erklingen.
Die zwei letzten Tracks der EP haben keine Hit-Single Qualitäten, sondern fahren die EP nostalgisch nach Hause. Long Long Trip ist stimmungsvoll mal langsam, mal beschleunigt wie eine längere Reise heimwärts und perfekt als vorletzter Track der EP platziert, sinnierend bis der letzte Herzschlag des Schlagzeugs verebbt. Pirate Bay ist eine schwelgerische Preziose mit leichten Smiths-Anklängen, singt gedankenversunken von den Ozeanen der Welt – ein passendes Schluss-Stück.
Jolphin singen auf Englisch. Das Englische gepaart mit lauten E-Gitarren – die Sprache des Rock n Roll – ist eben universell. Jeder der sie in seiner Adoleszenz vernimmt, münzt seine Euros in Gitarren um, und übt beflissen bis der anfängliche Lärm zu Schönklang wird – um den Schönklang dann wieder bewusst und gekonnt zu verlärmen. Neben dem zweifellosen Songwriting Talent ist es vor allem die gelungene Produktion, die der EP 2021 Aktualität verleiht, den totgesagten Indie lärmend aus dem Schlaf reißt, ihm einen Kinnhaken verpasst: „A punch up the bracket“ wie es die Libertines nennen würden.
Trotz der Tatsache, dass die Musik in den 00er Jahren verwurzelt ist, entzieht sie sich dem schon damals vielkopierten 00er Indie-Sound und klingt aktuell und relevant. Das tut sie durch vielseitige Ansätze an den Instrumenten. Und das tut sie vor allem auch durch die rockige Produktion – also ohne den Sound wie die Libertines am Comeback-Album glattzubügeln.
Denn wer meint, dass in heutigen Musikproduktionen wie dem aktuellen bzw. eigentlich eh schon 6 Jahre zurückliegenden Libertines-Album zu wenig rock, lärm und krachige Produktion steckte, sollte Jolphins Sugar Shock Therapy EP sein Gehör schenken.
Update (20.11.): ein Satz am Ende des sugar shock treatment absatz eingefügt
Gitarrenmusik und Konzertskizzen